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Lustenauer Gemeindeblatt Nr. 19 | Freitag 8. Mai 2020

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Amts- und Anzeigenblatt der Marktgemeinde Lustenau | Erscheint jeden Freitag, Erscheinungsort und Verlagspostamt: 6890 Lustenau

Historisches Archiv

Historisches Archiv Kriegsende vor 75 Jahren, Teil 3 Die in dieser dreiteiligen Serie präsentierten Auszüge entstammen dem Bericht des damaligen stellvertretenden Bürgermeister Oskar Alge, viereinhalb Monate nach Kriegsende verfasst. Sie schließen in diesem Auszug unmittelbar an die Ereignisse beim Einmarsch der französischen Truppen am 2. Mai 1945 an. „Darauf wurden von Seiten des französischen Kommandanten die 1. Bestimmungen erlassen, die den Verkehr und das Verhalten der Bevölkerung regelten. In diesem Befehle wurde verlautbart, dass der Verkehr auf die Zeit von 7.30 Uhr früh bis 20.30 Uhr abends beschränkt sei. Der Verkehr mit Kraftwagen oder Fahrrädern wurde gänzlich untersagt. Der Kommandant behält sich das Recht vor, in Ausnahmefällen eine Sondererlaubnis zu erteilen. Punkt 2 schreibt vor, dass alle Waffen, Munition, Radiosendeanlagen, Photo-Filmapparate und Ferngläser abzuführen seien. Eine Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmung wird nach militärischen Gesetzen bestraft und der Schuldige soll als Geisel eingezogen werden. Unter Punkt 3 wird gefordert, dass alle Wehrmachtsangehörigen in Zivil oder Uniform sich sofort bei den französischen Militärbehörden zu melden haben. Als Bestrafung wird angedroht, dass für jeden Wehrmachtsangehörigen, der sich unangemeldet im Gebiete der Gemeinde Lustenau aufhält, der Gemeinde eine Geldstrafe von RM 500.000 aufdiktiert wird. Ferner werden Personen, die einem Angehörigen der Wehrmacht Unterkunft bieten, mit dem Tode bestraft. Schließlich wird noch verfügt, dass bei einem eventuellen Attentat gegen Angehörige der französischen oder alliierten Truppen der Täter mit dem Tode bestraft wird. Der Bürgermeister wird außerdem verpflichtet, eine Liste von Geiseln aufzustellen, von denen bei jedem Attentat oder Attentatsversuche 10 Geiseln erschossen werden. Nach dem Eintreffen der Spitze der französischen Truppen mit ihrem Kommandanten versuchte eine Abteilung derselben, auf der Hohenemserstraße gegen Altach vorzudringen. Am Seelachendamm wurde dieselbe durch die SS aufgehalten und mit Maschinengewehrfeuer beschossen. Dieser Vorgang hatte zur Lustenauer Kinder und französische Besatzungssoldaten. Foto: unbekannt 18 Nr. 19 / 20 | Lustenauer Gemeindeblatt

Folge, dass Artillerie in verschiedenen Außenbezirken unserer Gemeinde aufgestellt wurde und während der Nacht fortwährend verschiedene Stellen in der Gegend vom Seelachendamm und Kobel unter Feuer genommen wurden. 4 französische Soldaten [Anmerkung: Die verschiedenen Quellen widersprechen sich bei der genauen Zahl der Gefallenen.] wurden bei diesen Plänkeleien getötet. Am nächsten Tag, 3. Mai, wurde der Vormarsch der Franzosen fortgesetzt. Bei den Befestigungen am Kobel scheinen sich noch einige Kampfhandlungen abgespielt zu haben, die zur Folge hatten, dass eine Anzahl Häuser in Götzis vernichtet oder schwer beschädigt wurden und dass einige Götzner Bürger als Todesopfer zu beklagen waren. Ein Aufhalten der Feinde war selbstverständlich durch diese Maßnahmen, die mit starken Kräften und Waffen durchgeführt wurden, nicht zu erzielen. Die 1. Besatzungstruppen stellten sich ausschließlich aus Fremdenlegionären und Marokkanern zusammen. Es war für den Anfang ein ungemütlicher Zustand, da diesen Kolonialtruppen ein sehr schlechter Ruf voraus ging. Die französischen Offiziere selbst warnten die einheimische Bevölkerung vor diesen Menschen, die besonders dann, wenn sie unter dem Einfluss von Alkohol standen, in ihrer Handlungsweise unberechenbar seien. Größere Ausschreitungen kamen jedoch glücklicherweise nicht vor; mit Ausnahme von einigen Diebereien Französische Geschütze vor „Schifflers Fabrik“ im Büngen. Foto: unbekannt konnte man sich über diese fremdländischen Truppen nicht beklagen. Am Samstag, den 5. Mai, traf das Freiheitskomitee unter Führung des Herrn Valentini, sowie in Begleitung eines französischen Offiziers auf dem Rathause ein, und teilte mir mit, dass zu meinem Nachfolger Herr Ferdinand Jussel, ernannt sei. […] Es ist klar, dass der verlorene Krieg und die mit ihm zusammenhängende Vernichtung ungeheurer Werte, die Führung von Staat und Land vor schwierigste Aufgaben stellen wird. Es bedarf aus diesem Grunde der Zusammenarbeit aller, um unser Gemeinwesen über diese trostlosen Tage hinüberzuführen. Ich wünsche von ganzem Herzen, dass dies meinem Nachfolger zum Wohle meiner Heimatgemeinde Lustenau gelingen werde.“ Ferdinand Jussel (1906-1957) übernahm wenige Tage nach Kriegs- ende das Amt des Bürgermeisters. Lustenauer Gemeindeblatt | Nr. 19 / 20 19

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